Wie geht das: Kinder erziehen? Die Meinungen darüber gehen auseinander, und was früher zu dieser Frage als Konsens in der Gesellschaft galt, gilt heute längst nicht mehr. Vor diesem Hintergrund warf die Feier zum 60jährigen Bestehen der Erziehungsberatung in Schongau Fragen auf, gab aber auch Antworten.
Erziehungsberatung sei wie ein rettender Wasserspender in der Wüste, sagte Landrätin Andrea Jochner-Weiß in ihrem Grußwort. "Sie ist für Eltern, Kinder und Familien in Notlagen da", sagte die Landrätin. Sie hob hervor, dass sich die Herausforderungen für Familien verändert haben. Erziehungsberatung sei angesichts der Gesellschaftlichen Veränderungen heute wichtiger denn je, und biete "kompetenten Beistand." Jochner-Weiß bedankte sich sehr bei den Fachkräften der Beratungsstelle für ihr Engagement: "Sie sind unverzichtbar für unseren Landkreis." Das sehen sicher auch die allermeisten der ratsuchenden Familien so; im vergangenen Jahr haben die drei Beratungsstellen im Landkreis in Penzberg, Weilheim und Schongau in 747 sogenannten "Fällen" beraten, wobei sich hinter jedem "Fall" aus dieser Statistik ein Kinder oder ein Jugendlicher verbirgt, zu dessen Lebenssituation Eltern, Erzieher oder auch Heranwachsende selbst Rat suchen. Die Gründe dafür sind sehr unterschiedlich; Trennung und Scheidung der Eltern können genauso Anlass für das Aufsuchen der Erziehungsberatung sein wie Fragen der Schulausbildung, Themen rund um die Beziehung zwischen Geschwistern und vieles mehr. Die Stellen sind letztlich Anlaufstellen für Jedermann, wenn es um Fragen rund um das Thema Erziehung geht; die Beratung kostet die Ratsuchenden nichts, und die Berater unterliegen der Schweigepflicht, so dass auch sehr persönliche Dinge besprochen werden können.
Durchgeführt wird die Erziehungsberatung im Landkreis seit den ersten Anfängen durch die Katholische Jugendfürsorge, inzwischen firmierend als KJF Kinder- und Jugendhilfe Weilheim-Schongau. Mechtild Gödde, die diese Aktivitäten der KJF im Landkreis leitet und verantwortet, wies darauf hin, dass Erziehungsberatung ein gesellschaftlich und politisch gewolltes Angebot ist. Inzwischen geht man zum Beispiel durch Angebote an Schulen noch direkter auf die Menschen zu, um Schwierigkeiten möglichst früh entgegen wirken zu können; daher zählen zu ihren Mitarbeitern auch Sozialarbeiter an 10 Schulen im Landkreis. Stefan Leister, stellvertretender Vorstandsvorsitzender der KJF, wies in seinem Grußwort darauf hin, dass sich seit dem Beginn vor 60 Jahren nicht alles verändert habe. "Der Kern bleibt gleich", so Leister in Bezug auf die KJF und ihre Grundhaltung, Familien zu begleiten und bei Erziehungsfragen zu beraten.
Sehr tiefgründig, aufschlussreich und gleichzeitig unterhaltsam war der Vortrag von Peter Martin Thomas von der Sinus-Akademie in Heidelberg. Sein Unternehmen untersucht jährlich, in welchen Lebenswelten und Milieus die Menschen in Deutschland leben, um Erklärungsmuster zu finden und Zusammenhänge deutlich zu machen. Mit einer besonderen Jugendstudie wurde auch untersucht, wie sich Jugendliche heute fühlen und wie sie leben möchten. "Viele Kinder und Jugendliche wachsen in einem Umfeld auf, das es extrem herausfordernd macht, gute Erziehungsarbeit zu leisten", so Thomas mit Blick auf die Situation heutiger Eltern. Auch die Vielzahl der Erziehungsansätze und Ratgeber, deren Verbreitung durch die digitalen Möglichkeiten noch erhöht wird, macht das Leben für Familien nicht leichter und erhöht vielmehr die Verunsicherung. Am Beispiel Smartphone machte er deutlich, wie schnell sich die Welt verändert: das erste iPhone kam 2007 auf den Markt, und inzwischen ist daraus ein praktisch weltweiter Standard geworden – mit großen Auswirkungen für viele Familien. Nur ein Beispiel: Eltern mussten vorher wohl kaum mit den Kindern am Essenstisch darüber diskutieren, dass man ein Telefon während der Mahlzeit aus der Hand legen sollte.
Interessant war auch, was Thomas von einigen Trends berichtet, die in die Zukunft zeigen. "Wir beobachten erste Anzeichen von digitaler Sättigung", berichtete er und wie darauf hin, dass manche Heranwachsende auf digitale Geräte wie etwa ein Tablet bewusst verzichten – "sie sagen: ich brauche das nicht." Und einige Jugendliche, die man zu ihren Zukunftswünschen befragt, würden angeben: "Ich will, dass meine Kinder ohne digitale Medien aufwachsen." Thomas betonte, dass man da eine neue Entwicklung beobachte, dass dies aber natürlich nicht die Meinung der Mehrheit der Jugendlichen wiedergebe.
Aus den Lebenswelten der Familien könne man für die Arbeit der Erziehungsberatung sehr viele Erkenntnisse ziehen, so der Referent. Bestimmte Milieus stünden zum Beispiel klaren Verhaltensanweisungen sehr ablehnend gegenüber, während andere genau diese direktive Art wünschen. Wenn die Erziehungsberater wissen, aus welchem Milieu die ratsuchende Familie kommt, können sie auch Ratschläge entsprechend an den Mann oder die Frau bringen, so seine Aussage.