Struktur für den Alltag

Jugendliche mit Autismus aus dem Frère-Roger-Kinderzentrum helfen bei der Entwicklung einer neuen App, die ihren Alltag erleichtern soll
Michael Fürmann und der 15-jährige Burghardt (von links) beim Test der neuen App, die Autisten helfen soll, ihren Tag zu strukturieren. Foto: KJF Augsburg/Kathrin Ruf
24. Februar 2021

Der 17-jährige Jonas und der 15-jährige Burghardt blicken konzentriert in Smartphones, die vor ihnen auf dem Tisch liegen. Soweit nichts Ungewöhnliches für Jugendliche. Doch auf dem Tisch liegen auch kleine Karteikarten mit Fragen wie diese: Kannst du erkennen, wie viele Aktivitäten du heute schon gemacht hast? Kannst du erkennen, welche Aufgabe als nächstes zu tun ist?

Auf die Antworten der beiden Jugendlichen lauschen gespannt Margarita und Michael Fürmann, die eine neue App unter anderem für Autisten entwickeln. Jonas und Burghardt testen aktuelle Entwürfe und Funktionen dieser neuen App mit Namen mivao, die helfen will, den Alltag und tägliche Aufgaben zu strukturieren.

Struktur und Vorhersehbarkeit im Alltag sind für Jonas und Burghardt extrem wichtig. Beide haben eine Autismus-Spektrum-Störung – so die offizielle medizinische Diagnose für Autismus. Den einen Autismus gibt es nicht. Vielmehr handelt es sich dabei um eine komplexe und vielgestaltige neurologische Entwicklungsstörung. Häufig spricht man auch von Störungen der Informations- und Wahrnehmungsverarbeitung, die sich auf die Entwicklung der sozialen Interaktion, der Kommunikation und des Verhaltensrepertoires auswirken. Unterteilt wird dann manchmal noch in frühkindlichen Autismus, das Asperger-Syndrom oder den Atypischen Autismus.

Vorhersehbarkeit gibt Sicherheit

Heilpädagogin Manuela Paulak begleitet Kinder und Jugendlichen wie Jonas und Burghardt im Frère-Roger-Kinderzentrum, das zur KJF Augsburg gehört. Sie spricht lieber vom autistischem Spektrum statt von „Störung“ und erklärt die Besonderheiten der Kinder und Jugendlichen aus dem autistischem Spektrum folgendermaßen: „Sie brauchen jede Menge Vorhersehbarkeit, das gibt Verlässlichkeit, das gibt Sicherheit und das ist in unserer Welt der Punkt, an dem sie sehr oft scheitern.“ Um diese Struktur und die täglichen Abläufe deutlich zu machen, gibt es auf den Wohngruppen von Jonas und Burghardt unter anderem analoge Wochenpläne auf einem Whiteboard. „Unsere Jugendlichen müssen wissen, wer macht was, wann mit wem, wo und wie lange“, sagt Heilpädagogin Manuela Paulak, die auf einer Fortbildung von der geplanten App-Entwicklung erfahren und daraufhin Kontakt mit Margarita und Michael Fürmann aufgenommen hatte. „Eine solche App wäre eine große Erleichterung für Kinder und Jugendliche aus dem autistischen Spektrum. Vor allem für das große Ziel, die Jugendlichen in ein selbstständiges Leben zu führen, wäre eine solche App ein gutes Hilfsmittel“, so Manuela Paulak.

Insgesamt fünf Jugendliche zwischen 11 und 17 Jahren mit einer Autismus-Spektrum-Störung, die im Frère-Roger-Kinderzentrum leben, haben bei dem ersten Test mitgemacht. Weitere sind geplant, die beiden Entwickler werden nun zunächst die Ergebnisse des ersten Tests auswerten. Mit den Rückmeldungen der Jugendlichen waren sie sehr zufrieden. „Sie haben uns schon auf ein paar Knackpunkte aufmerksam gemacht, die wir noch verbessern können. Der nächste Schritt wäre dann ein richtiger Prototyp der App“, erklärte Michael Fürmann.

Und was war nun das Fazit der jugendlichen Tester? Jonas Urteil: „Der Kalender ist ziemlich übersichtlich, der Ladebalken sagt mir, wie viel ich heute schon erledigt habe und dass ich jetzt nicht mehr so viel schaffen muss.“ Burghardt sagt: „Ich finde gut, dass alles so übersichtlich ist, dass alles eine logische Reihenfolge hat.“ Nun sind die beiden gespannt, welche ihrer Rückmeldungen bis zum nächsten Test der App die Entwickler umsetzen werden, und natürlich darauf, wann sie mivao auf ihrem eigenen Smartphones richtig benutzen können.


Info: Das Frère-Roger-Kinderzentrum ist die vielfältigste und größte Kinder- und Jugendhilfe-Einrichtung in Stadt und Landkreis Augsburg. Rund 350 Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene leben in den therapeutischen und heilpädagogischen Wohngruppen oder besuchen die zahlreichen Tagesstätten. Darüber hinaus werden rund 200 Familien ambulant betreut. Das Familienzentrum Peter&Paul umfasst eine integrative Kindertagesstätte (Krippe, Kindergarten und Hort) mit rund 200 Plätzen und ist zugleich ein Familienstützpunkt der Stadt Augsburg. Mit Angeboten an Schulen sowie in der offenen Jugendarbeit erreichen die Mitarbeiter tausende weitere Kinder und Jugendliche in der Region. Knapp 600 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter kümmern sich um Kinder, Jugendliche sowie junge Erwachsene mit Verhaltensauffälligkeiten, Entwicklungsstörungen und psychischen Störungen. Besonders spezialisiert ist das Frère-Roger-Kinderzentrum in den Bereichen Autismus, Trauma und Bindungsstörungen, sexuelle Grenzverletzungen sowie Essstörungen.

 

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