Studierende der KJF Fachschule für Heilerziehungspflege und Heilerziehungspflegehilfe besuchten im Mai im Rahmen des Berufskundeunterrichts die Einrichtung des Samariterstifts Grafeneck. Die Studierenden hatten im Vorfeld projektorientiert über den Umgang mit Menschen mit Behinderung während der Zeit des Nationalsozialismus recherchiert.
Die Samariterstiftung bietet in dem ehemaligen Schloss Grafeneck etwa 70 Wohnplätze für Menschen mit Behinderung, dazu kommen noch Außenwohngruppen in den umliegenden Dörfern. Mit einem kleinen Biolandbetrieb und einer Werkstatt für behinderte Menschen in Münsingen bietet die Einrichtung ein umfassendes Betreuungsangebot.
Heute ist Grafeneck „ein Ort des Lebens“, erzählt der Einrichtungsleiter. Aber das Schloss hat eine düstere Vergangenheit. Im Jahr 1929 wird das Schloss als „Krüppelheim” für etwa 110 Männer von der Samariterstiftung übernommen. Aber 1939 beginnt der Alptraum, die Einrichtung wird von den Nationalsozialisten beschlagnahmt und die Bewohner und Angestellten vertrieben. Auf Schloss Grafeneck startet unter strengster Geheimhaltung der Umbau der Einrichtung zu einer Tötungsanstalt für Menschen mit Behinderung. In der aggressiven und menschenverachtenden Propaganda der Nationalsozialisten wird die Bevölkerung gegen Menschen mit Behinderung, die als „Last für das Volk“ dargestellt werden, aufgehetzt. Auf Schloss Grafeneck beginnt die Vernichtungsmaschinerie. Behinderte Menschen aus verschiedenen Einrichtungen Süddeutschlands werden in der folgenden Zeit mit grauen Bussen nach Grafeneck umgesiedelt und mit Gas vergiftet. Die Einrichtung wird hinter hohen Mauern abgeschottet, um das Geschehen zu vertuschen. Durch die Aktion T4 werden 10.654 Menschen mit Behinderung allein in Grafeneck ermordet.
Nach Ende des Zweiten Weltkriegs beansprucht der Samariterbund das Schloss wieder für sich. Das Besondere an der Einrichtung ist ihr Umgang mit der Vergangenheit, die allgegenwärtige Auseinandersetzung mit der Zeit des Nationalsozialismus. In Grafeneck findet man ein eigens dafür gebautes Dokumentationszentrum. Ein kleiner Mauerteil der Gaskammer erinnert an den damaligen Standort. Ein Künstler hat 10.654 kleine Tonfiguren angefertigt. Zusätzlich wurde für die ermordeten Menschen mit Behinderung ein Gedenkort mit angrenzendem Friedhof errichtet. Ein Mahnmal für alle, nicht zu vergessen. Jeder neue Mitarbeiter und Bewohner wird über die Vergangenheit der Einrichtung informiert, die Bedeutsamkeit der Auseinandersetzung mit der Geschichte ist im Leben und Arbeiten präsent.
Die Studierenden der Heilerziehungspflege fuhren nach Grafeneck mit der Frage: Kann ein Ort mit einer so dunklen Vergangenheit heute Lebenswelt für Menschen mit Behinderung sein? In der Reflexion nach dem Besuch gab es nur eine Antwort: Ja! Nur durch kontinuierliche, lebendige Erinnerung an das Geschehene kann sichergestellt werden, dass solche Taten nie wieder geschehen können. Beim Rundgang erzählte ein jetziger Bewohner den Studierenden die Geschichte der Einrichtung mit seinen Worten und aus seiner Sicht. Diese Begegnung und der gesamte Informationstag haben die Studierenden sehr bewegt und ihnen gezeigt, wie wichtig die Auseinandersetzung mit dem Lebensrecht behinderter Menschen zu jeder Zeit ist und bleibt.